Nachdenken über Classroom Management
Der Monatliche Impuls
Hier erscheint zu jedem ersten eines Monats ein neuer Impuls zum Classroom Management. Wir arbeiten eine Studie oder eine Theorie für Sie unterhaltsam auf. Daraus leiten wir dann einen oder mehrere praxistaugliche Impulse ab. Sie sind schließlich eingeladen, mit den Impulsen zu experimentieren.
Nun wünschen wünschen wir viel Spaß beim Lesen und beim Experimentieren gutes Gelingen! Wenn Sie Anregungen oder Wünsche haben, schreiben Sie uns gerne. |
Der Impuls für Dezember 2019
Die Foot-Door-Technik im Classroom Management
Wie Sie mit einer kleinen Bitte große Kooperationsbereitschaft erzeugen können

Letztens kam Johanna zufällig in den Unterricht ihrer Kollegin Ingrid. Dabei wurde sie Zeugin, wie diese Philipp dazu brachte, zügig mit dem Arbeiten zu beginnen. Bei ihr selbst dauert es immer ewig, bis sie Philipp soweit hat.
Ingrid ging an Philipps Tisch, als dieser noch nicht zu arbeiten begonnen hatte, und erkundigte sich, ob er noch etwas brauche, um beginnen zu können. Als dieser verneinte, forderte sie ihn auf, seinen Stift zur Hand zu nehmen und loszulegen. Und tatsächlich: Er nahm seinen Stift zur Hand begann zu arbeiten. Was war Ingrids Erfolgsrezept?
Studien zur Foot-in-Door-Technik
Wahrscheinlich hängt der erfolg von Ingrid an vielen Faktoren. Wir greifen hier aber einmal einen Faktor heraus, der wissenschaftlich gut belegt ist und gut im Alltag genutzt werden kann: Die sogenannte Foot-in-Door-Technik.
Amerika 1966: Die Bewohner einer gut betuchten Wohnsiedlung von Palo Alto (Kaliformien) wurden von Ehrenamtlichen gebeten, riesige Reklametafeln (und die sahen nicht schön aus) in ihren Vorgarten zu stellen, auf denen "Fahre Vorsichtig!" stand. Die Ehrenamtlichen gingen von Haustür zu Haustür.
Diese Aktion war der Kern einer Studie. Alle Bewohner waren zuvor per Zufall auf ein von zwei Gruppen eingeteilt worden. Bewohner, die per Zufall in Gruppe 1 gelandet waren, lehnten eine solche Reklametafel in ihrem gut gepflegten Vorgarten kategorisch ab (ca. 73 % Ablehnung). Ganz anders die Bewohner der Gruppe 2: Dort stimmten etwa 76 % zu, dass eine solche Reklametafel in dem gut gepflegten Vorgarten aufgestellt werden dürfe. Was war in Gruppe 2 anders?
Die Bewohner der zweiten Gruppe bekamen nämlich von den Ehrenamtlichen zwei Woche zuvor schon einmal Besuch. Beim ersten Mal ging es allerdings nur um eine kleine und sehr akzeptable Bitte: Sie wurden gebeten, um die Sicherheit auf den Straßen zu erhöhen, ein kleines Plakat in ihr Fenster aufzuhängen, auf dem "Sei ein vorsichtiger Fahrer!" stand. Eine Bitte also mit viel geringerem Störwert als die Reklametafel.
Allerdings bekamen die Ehrenamtlichen mit dieser Bitte und durch das "kleine Ja", das die Bewohner gaben, die den Fuß in die Tür, so dass sie später viel Größeres erbitten konnten (z.B. eine Reklametafel im Vorgarten). Freedman und Fraser, die Psychologen, die diese Studie ersonnen hatten, nannten den Effekt "Foot-in-Door": Hat man einmal mit einer kleinen Bitte, die schwer abzuschlagen ist, den Fuß in der Tür, erhöht das drastisch die Wahrscheinlichkeit, dass man auch für größere Bitten ein JA bekommt.
Aber das war doch Kaliformien 1966. Gut betucht. Und es ging um etwas prinzipiell Gutes und Unterstützenswertes: Es ging um vorsichtiges Fahren. Das lässt sich doch nicht so einfach auf Unterrichtsstörungen 2019 übertragen, oder?
Für Unterrichtsstörungen gibt es meines Wissens noch keine belastbaren Studien zur Food-in-Door-Technik - wohl aber gute Erfahrungswerte. Aber dass dieses Phänomen nicht an Amerika, nicht an der Mitte des 20sten Jahrhunderts und nicht an einem sozialen Milieu gebunden ist, zeigen eine Reihe weiterer Studien zur Foot-in-Door-Technik. Es solle hier exemplarisch noch eine Weitere berichtet werden. Darin wird deutlich werden, dass das Foot-in-Door-Phänomen nicht einmal an moralischen Werten wie "vorsichtig Fahren" hängt.
Um zu testen, ob das Food-in-Door-Phänomen auch bei moralisch fragwürdigen Bitten funktioniert, ersonnen die französischen Sozialpsychologen Pascual, Guéguen, Pujos und Felonneau 2013 folgendes Experiment: Ein 12-jähriger Junge bat Kunden in einem Buchladen darum, dass diese für ihn ein Pornoheft kaufen mögen (denn er war ja zu jung). Auch in diesem Experiment gab es zwei Versuchsbedingungen: Eine Foot-in-Door-Bedingung und eine Kontroll-Bedingung (in der er nur die Bitte äußerte; und sonst nichts). In der Foot-in-Door-Bedingung bat er jedoch zuvor den jeweiligen Kunden darum, ihm zu helfen, das Heft aus dem Regal zu nehmen, denn er war klein und kam alleine nicht an das Heft. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Kunden auch noch nicht, um welche Art Lektüre es sich handelt. Das "kleine Ja", der Fuß in der Tür, war also der Gefallen, das Heft aus dem Regal zu nehmen. Und hatte es einen Effekt? Die zweite Bitte, das Heft auch noch zu kaufen, abzulehnen, hätte für keinen einen Gesichtsverlust bedeutet. Und trotzdem: In der Kontrollgruppe kauften etwa 6 % diese fragwürdige Lektüre für einen 12-jährigen (erschreckend genug!). In der Foot-in-Door-Bedingung waren es gute 21 %!!!
Wie können Sie die Foot-in-Door-Technik nutzen? (Impulse)
Studien, die den Effekt immer wieder bestätigen, gibt es viele (und viele sind sehr unterhaltsam ;-)). Aber was nützen die besten Studien, wenn sie keinen Einfluss auf die Praxis hätten. Deswegen schlage ich Ihnen nun zwei kleine Impulse vor, wie das Foot-in-Door-Phänomen in der Schule einsetzen können:
1) Bitten Sie, wenn eine Schülerin oder ein Schüler sich weigert, mit dem Arbeiten zu beginnen, zunächst nur darum, dass sie/er den Stift zur Hand nimmt. Wenn das geschehen ist, fordern Sie ihn oder sie auf, loszulegen.
Hier erahnen Sie richtigerweise eine Ähnlichkeit zu unserem Beispiel ganz oben. Ähnlich wie Lehrerin Ingrid es gemacht hat, empfiehlt es sich, sich zunächst einmal zu erkundigen, ob es einen ernsthaften Grund für das Nicht-Anfangen gibt. Aber dem liegt ein anderes Phänomen zugrunde, das wir ein anderes Mal besprechen ;-)
2) Gesprächsführung/ Elterngespräche: Wenn Sie das nächste Elterngespräch mit einem Elternteil oder einem Elternpaar haben, bei dem Sie befürchten, dass diese Eltern unkooperativ sind, bitten Sie diese zu Beginn des Gesprächs um einen kleinen Gefallen, den diese Ihnen kaum abschlagen können. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auch bei kritischen Fragen kooperieren.
Vielleicht haben Sie ja noch weitere Ideen, wie Sie dieses Phänomen sinnvoll und hilfreich einsetzen können. Experimentieren Sie damit im Alltag. Seien Sie froh, wenn´s funktioniert - und grämen Sie sich nicht, wenn es einmal nicht funktioniert. In der Psychologie wirken immer viele Faktoren zusammen. Aber mit dieser Strategie verbessern Sie Ihre Erfolgsaussichten ;-)
Ingrid ging an Philipps Tisch, als dieser noch nicht zu arbeiten begonnen hatte, und erkundigte sich, ob er noch etwas brauche, um beginnen zu können. Als dieser verneinte, forderte sie ihn auf, seinen Stift zur Hand zu nehmen und loszulegen. Und tatsächlich: Er nahm seinen Stift zur Hand begann zu arbeiten. Was war Ingrids Erfolgsrezept?
Studien zur Foot-in-Door-Technik
Wahrscheinlich hängt der erfolg von Ingrid an vielen Faktoren. Wir greifen hier aber einmal einen Faktor heraus, der wissenschaftlich gut belegt ist und gut im Alltag genutzt werden kann: Die sogenannte Foot-in-Door-Technik.
Amerika 1966: Die Bewohner einer gut betuchten Wohnsiedlung von Palo Alto (Kaliformien) wurden von Ehrenamtlichen gebeten, riesige Reklametafeln (und die sahen nicht schön aus) in ihren Vorgarten zu stellen, auf denen "Fahre Vorsichtig!" stand. Die Ehrenamtlichen gingen von Haustür zu Haustür.
Diese Aktion war der Kern einer Studie. Alle Bewohner waren zuvor per Zufall auf ein von zwei Gruppen eingeteilt worden. Bewohner, die per Zufall in Gruppe 1 gelandet waren, lehnten eine solche Reklametafel in ihrem gut gepflegten Vorgarten kategorisch ab (ca. 73 % Ablehnung). Ganz anders die Bewohner der Gruppe 2: Dort stimmten etwa 76 % zu, dass eine solche Reklametafel in dem gut gepflegten Vorgarten aufgestellt werden dürfe. Was war in Gruppe 2 anders?
Die Bewohner der zweiten Gruppe bekamen nämlich von den Ehrenamtlichen zwei Woche zuvor schon einmal Besuch. Beim ersten Mal ging es allerdings nur um eine kleine und sehr akzeptable Bitte: Sie wurden gebeten, um die Sicherheit auf den Straßen zu erhöhen, ein kleines Plakat in ihr Fenster aufzuhängen, auf dem "Sei ein vorsichtiger Fahrer!" stand. Eine Bitte also mit viel geringerem Störwert als die Reklametafel.
Allerdings bekamen die Ehrenamtlichen mit dieser Bitte und durch das "kleine Ja", das die Bewohner gaben, die den Fuß in die Tür, so dass sie später viel Größeres erbitten konnten (z.B. eine Reklametafel im Vorgarten). Freedman und Fraser, die Psychologen, die diese Studie ersonnen hatten, nannten den Effekt "Foot-in-Door": Hat man einmal mit einer kleinen Bitte, die schwer abzuschlagen ist, den Fuß in der Tür, erhöht das drastisch die Wahrscheinlichkeit, dass man auch für größere Bitten ein JA bekommt.
Aber das war doch Kaliformien 1966. Gut betucht. Und es ging um etwas prinzipiell Gutes und Unterstützenswertes: Es ging um vorsichtiges Fahren. Das lässt sich doch nicht so einfach auf Unterrichtsstörungen 2019 übertragen, oder?
Für Unterrichtsstörungen gibt es meines Wissens noch keine belastbaren Studien zur Food-in-Door-Technik - wohl aber gute Erfahrungswerte. Aber dass dieses Phänomen nicht an Amerika, nicht an der Mitte des 20sten Jahrhunderts und nicht an einem sozialen Milieu gebunden ist, zeigen eine Reihe weiterer Studien zur Foot-in-Door-Technik. Es solle hier exemplarisch noch eine Weitere berichtet werden. Darin wird deutlich werden, dass das Foot-in-Door-Phänomen nicht einmal an moralischen Werten wie "vorsichtig Fahren" hängt.
Um zu testen, ob das Food-in-Door-Phänomen auch bei moralisch fragwürdigen Bitten funktioniert, ersonnen die französischen Sozialpsychologen Pascual, Guéguen, Pujos und Felonneau 2013 folgendes Experiment: Ein 12-jähriger Junge bat Kunden in einem Buchladen darum, dass diese für ihn ein Pornoheft kaufen mögen (denn er war ja zu jung). Auch in diesem Experiment gab es zwei Versuchsbedingungen: Eine Foot-in-Door-Bedingung und eine Kontroll-Bedingung (in der er nur die Bitte äußerte; und sonst nichts). In der Foot-in-Door-Bedingung bat er jedoch zuvor den jeweiligen Kunden darum, ihm zu helfen, das Heft aus dem Regal zu nehmen, denn er war klein und kam alleine nicht an das Heft. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Kunden auch noch nicht, um welche Art Lektüre es sich handelt. Das "kleine Ja", der Fuß in der Tür, war also der Gefallen, das Heft aus dem Regal zu nehmen. Und hatte es einen Effekt? Die zweite Bitte, das Heft auch noch zu kaufen, abzulehnen, hätte für keinen einen Gesichtsverlust bedeutet. Und trotzdem: In der Kontrollgruppe kauften etwa 6 % diese fragwürdige Lektüre für einen 12-jährigen (erschreckend genug!). In der Foot-in-Door-Bedingung waren es gute 21 %!!!
Wie können Sie die Foot-in-Door-Technik nutzen? (Impulse)
Studien, die den Effekt immer wieder bestätigen, gibt es viele (und viele sind sehr unterhaltsam ;-)). Aber was nützen die besten Studien, wenn sie keinen Einfluss auf die Praxis hätten. Deswegen schlage ich Ihnen nun zwei kleine Impulse vor, wie das Foot-in-Door-Phänomen in der Schule einsetzen können:
1) Bitten Sie, wenn eine Schülerin oder ein Schüler sich weigert, mit dem Arbeiten zu beginnen, zunächst nur darum, dass sie/er den Stift zur Hand nimmt. Wenn das geschehen ist, fordern Sie ihn oder sie auf, loszulegen.
Hier erahnen Sie richtigerweise eine Ähnlichkeit zu unserem Beispiel ganz oben. Ähnlich wie Lehrerin Ingrid es gemacht hat, empfiehlt es sich, sich zunächst einmal zu erkundigen, ob es einen ernsthaften Grund für das Nicht-Anfangen gibt. Aber dem liegt ein anderes Phänomen zugrunde, das wir ein anderes Mal besprechen ;-)
2) Gesprächsführung/ Elterngespräche: Wenn Sie das nächste Elterngespräch mit einem Elternteil oder einem Elternpaar haben, bei dem Sie befürchten, dass diese Eltern unkooperativ sind, bitten Sie diese zu Beginn des Gesprächs um einen kleinen Gefallen, den diese Ihnen kaum abschlagen können. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auch bei kritischen Fragen kooperieren.
Vielleicht haben Sie ja noch weitere Ideen, wie Sie dieses Phänomen sinnvoll und hilfreich einsetzen können. Experimentieren Sie damit im Alltag. Seien Sie froh, wenn´s funktioniert - und grämen Sie sich nicht, wenn es einmal nicht funktioniert. In der Psychologie wirken immer viele Faktoren zusammen. Aber mit dieser Strategie verbessern Sie Ihre Erfolgsaussichten ;-)